Der katholische Protest gegen die „Euthanasie“, den Massenmord an geistig und körperlich behinderten Menschen also, gehört zu den prominentesten Beispielen für Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur. Neben dem bekannten Protest des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, agierte die katholische Kirche aber auch gegen die NS-Propaganda für den Krankenmord. In mehreren Regionen Deutschlands traten Kleriker dem Film „Ich klage an“ entgegen und erreichten teilweise sogar seine Absetzung von den lokalen Kinoprogrammen.

Als Bischof Galen am 3. August 1941 in einer Predigt öffentlich die Ermordung „lebensunwerter“ Personen durch den Staat anprangerte und zudem die Frage aufwarf, ob künftig auch Kriegsversehrte getötet werden würden, löste er den größten Skandal der NS-Zeit aus. Seine Worte verbreiteten sich nicht nur im gesamten Reich, sondern sie fanden sehr schnell auch zu den Soldaten. An allen Fronten des Krieges lassen sich Abschriften der Predigten Galens nachweisen. Das staatlich organisierte Morden, auch zuvor Teilen der Bevölkerung durchaus bekannt, war endgültig an das Licht einer breiten Öffentlichkeit getragen worden. Dass von Galen nicht verhaftet wurde, bestätigte zusätzlich seine Aussagen. Kaum drei Wochen nach der Predigt reagierte das Regime. Die planvolle Massenvergasung von erwachsenen Patienten fand ihr Ende. Ob diese Entscheidung ursächlich oder nur in Teilen mit dem katholischen Protest zusammenhing, ist in der Forschung allerdings umstritten.

Trotz des Verzichts auf Vergasungen gingen die Morde an Kranken weiter, indem beispielsweise die Nahrungsmittel für Heime gekürzt wurden. Die Propaganda versuchte noch im Sommer 1941 die Ermordung von „lebensunwertem Leben“ populärer zu machen und damit auch dem katholischen Protest entgegenzutreten. Der am 29. August 1941 in Berlin uraufgeführte Spielfilm „Ich klage an“ sollte diesem Zweck dienen. In den Kinos sollte damit für die Ermordung Kranker geworben werden. Zeitgenössische Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes der SS belegen jedoch, dass dies nur teilweise gelang. Der Misserfolg der NS-Propaganda war nicht zuletzt ein Erfolg der katholischen Kirche.

Katholische Proteste gegen die „Euthanasie“-Morde zeigten Wirkung. Dennoch zeigt der kirchliche Protest gegen die „Euthanasie“ selbst ebenso wie jener Widerstand gegen die Kinopropaganda für den Krankenmord, dass der Widerstand kommunikativer Teilöffentlichkeiten, wie sie innerhalb der katholischen Kirche zweifellos existierten, dem NS-Regime Zugeständnisse abringen konnte. Zu fragen bleibt, warum von diesen Handlungsspielräumen nicht mehr katholische Repräsentanten Gebrauch machten.

Quelle: auszugsweise aus http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/10357 [Stand]