Die Erbgesundheitsgerichte wurden im Deutschen Reich durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ab dem 1. Januar 1934 eingeführt. Sie entschieden in äußerlich rechtsförmig gestalteten Verfahren über Anträge zur Zwangssterilisation geistig und körperlich behinderter Menschen, Patienten psychiatrischer Heil- und Pflegeanstalten sowie Alkoholkranker und waren damit Werkzeug zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Rassenhygiene, die den Menschen zum bloßen Objekt staatlicher Verfügungsgewalt herabwürdigte. Bis Mai 1945 wurden aufgrund der Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte etwa 350.000 Menschen zwangssterilisiert.
Nach dem Anschluss Österreichs wurden 1939 auch dort Erbgesundheitsgerichte eingerichtet.
Das Erbgesundheitsgericht wurde auf Antrag des „Unfruchtbarzumachenden“, seines Pflegers oder – mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts – seines gesetzlichen Vertreters tätig (§ 2). Zur Antragstellung waren – gesetzessystematisch nachrangig, in der Praxis allerdings in erster Linie – auch beamtete Ärzte sowie bei Insassen einer Kranken-, Heil-, Pflege- oder Strafanstalt auch der Anstaltsleiter berechtigt (§ 3).
Organisatorisch war das Erbgesundheitsgericht einem Amtsgericht angegliedert. Es musste mit einem Amtsrichter als Vorsitzenden, einem beamteten Arzt und einem weiteren für das Deutsche Reich approbierten Arzt besetzt sein, der mit der „Erbgesundheitslehre besonders vertraut“ zu sein hatte (§ 6 Abs. 1). Für die Zuständigkeit des Gerichts war der allgemeine Gerichtsstand des „Unfruchtbarzumachenden“ entscheidend (§ 5). Die Öffentlichkeit war bei den Verfahren der Erbgesundheitsgerichte nicht zugelassen (§ 7 Abs. 1).
Für das Verfahren vor den Erbgesundheitsgerichten galt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 7 Abs. 2). Das Gericht entschied nach freier Überzeugung mit Stimmenmehrheit aufgrund mündlicher Beratung (§ 8).
Rechtsmittelgericht für die Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichts war das bei den Oberlandesgerichten zu bildende Erbgesundheitsobergericht. Es entschied endgültig (§ 10 Abs. 3) über die Beschwerden des Antragstellers, des beamteten Arztes oder des „Unfruchtbarzumachenden“ (§ 9) und wurde neben dem Mitglied des Oberlandesgerichtes wie das Instanzgericht besetzt.
Durch § 1 des Gesetzes zur Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte vom 25. August 1998 (Artikel 2 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte vom 25. August 1998, BGBl I S. 2501 ff.) wurden sämtliche Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte, die eine Unfruchtbarmachung angeordnet hatten, aufgehoben. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 24. Mai 2007 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 geächtet.
Quelle:
Wikipedia [Stand 29.01.2019]