Zwei Historikerinnen des Kölner NS-Dokumentationszentrums, Gabi Schmitt und Heike Zbick, haben sich mit dem Schicksal der Euthanasie-Opfer befaßt, die auf dem Kölner Westfriedhof begraben liegen.

Justiz unterstützte Vernichtungsprogramm

Was der Kölner Gerichtspräsident so eifrig beflissen mitkritzelte, waren die "wissenschaftlichen" Auslassungen des Prof. Dr. Werner Heyde, 41jähriger Ordinarius für Psychiatrie, Direktor der Nervenklinik in Würzburg und SS-Hauptsturmführer. Als langjähriger "Gutachter" für Gestapo und SS und als "Obergutachter" für die "Aktion T4" war Heyde einer der obersten Krankenmörder des Dritten Reiches. Vom Kölner Chefrechtswahrer Bergmann und seinen gleichermaßen verkommenen Kollegen anderswo im "Reich" hatten die "furchtbaren Ärzte" freilich keinerlei Ungemach zu fürchten. Die Justiz trug willig das Vernichtungsprogramm mit, unterstützte durch Verschleierung und Nichtbearbeitung von Strafanzeigen aus der Bevölkerung die "Reinigung" des "Volkskörpers" von "Schad- und Ballastexistenzen". Die nach Schätzung der Forscherinnen Gabi Schmitt und Heike Zbick vom Kölner NS-Dokumentationszentrum wahrscheinlich 2000 Opfer der nazistischen "Euthanasie"-Morde, die auf dem Westfriedhof überwiegend namenlos begraben wurden, hatten von der Justiz dieser Stadt mithin keinerlei Schutz zu erwarten. Und auch nach dem Ende des Nazi-Regimes tat sich namentlich die Kölner Justiz weniger durch Ermittlungseifer und Ahndung der Krankenmorde hervor als vielmehr durch Protektion der Täter und Rechtfertigung der Taten. Worüber noch zu sprechen sein wird. Und die Vertuschung hält in gewisser Weise an - selbst dort, wo man doch eigentlich erwarten sollte, daß den Toten, den Ermordeten, wenigstens die "letzte Ehre" erwiesen wird. Auf dem Westfriedhof, auf dem man die Opfer der Nazi-Eugenik vergrub, läßt man buchstäblich Gras über die Verbrechen wachsen, die an ihnen begangen wurden.

 Irreführende Inschriften auf Gedenksteinen

Man muß schon genau wissen, was man sucht, um die Gräberfelder für die Opfer des Naziregimes auf dem Westfriedhof zu finden. Karten und Hinweisschilder geben eher diskrete Auskunft; doch verschweigen sie dem Unkundigen ebenso wie die irreführenden Inschriften der Gedenksteine aus den 60er Jahren, daß hier auch Opfer des staatlichen Mordprogramms gegen "lebensunwertes Leben" verscharrt sind. Gabi Schmitt und Heike Zbick versuchen nun seit etwa zwei Jahren, die Geschichte der in Köln unter die Erde gebrachten "Euthanasie"-Opfer zu erforschen, an die in dieser Stadt nach dem Willen der Offiziellen auch nach 1945 nichts erinnern sollte. Ihre bisherigen Ergebnisse bestätigen am Kölner Beispiel, was allgemein schon als Quintessenz der Forschungen und Buchveröffentlichungen namentlich von Ernst Klee einem breiten Publikum bekannt sein müßte: Auch nach dem Ende des NS-Regimes blieb die Ideologie, die dessen Verbrechen an den "Behinderten" überhaupt erst ermöglicht hatte, weithin beherrschend in der öffentlichen Meinung generell und auch unter Medizinern und Juristen im besonderen. Die meisten der "Mediziner ohne Menschlichkeit" und der Juristen der "Erbgesundheitsgerichte" blieben in der BRD unbehelligt, setzten vielmehr ihre Karrieren allzumeist im alten Geist fort. Ein Beteiligter der "Kindereuthanasie", der Münchener Professor Severing, schaffte es beispielsweise, lange Jahre als Präsident der Bundesärztekammer zu amtieren. Und bis heute, so wissen die beiden Historikerinnen zu berichten, sei das Thema Behinderung derart tabuisiert, daß viele Betroffene der nazistischen Terrormaßnahmen und ihre Familien anonym bleiben wollen.

Zwangsterilisiert zu sein oder ein Opfer der faschistischen Euthanasiemorde in der Familie zu haben, scheint immer noch ein schlimmeres Stigma in dieser Gesellschaft zu sein als an diesem Menschen vernichtenden Staatsterror beteiligt gewesen zu sein. Eine Stigmatisierung, die in der BRD weiterhin zur offiziellen Staatsideologie gehörte, jedenfalls wenn man offizelle Staatsäußerungen wie Gesetzgebung, Verwaltungshandeln und Gerichtsurteile zugrunde legt. So bewertete etwa das Landgericht Köln in einem Urteil vom 25. Oktober 1951 die Opfer der "Euthanasie" als "ausgebrannte Menschen, unter der Tierstufe vegetierende Wesen, die unter der Nullstufe stehen". Schon 1949 urteilte das Hamburger Landgericht, es könne nicht so schlimm gewesen sein, "geistig Tote" umzubringen.

Im Falle der Helga S., Jahrgang 1910. Ihre "Abnormität" äußerte sich darin, daß sie eine Vergewaltigung nicht ergeben hinnahm, der sie 1931 zum Opfer gefallen war. In der "Lindenburg", der heutigen Kölner Universitätsklinik, brachte sie als Folge des sexuellen Übergriffs 1932 ein Kind zur Welt. Die Patriarchen-Medizin nahm ihr übel, daß sie sich über die ihr angetane sexuelle und bürokratische Gewalt beklagte und attestierte unter anderem "Erregungszustände" und vor allem "ungeordnetes Verhalten". Sie wurde zwangspsychiatrisiert und nach Galkhausen verschleppt - dem heutigen Langenfeld. Auch dort fiel sie durch Abweichung von ordnungsgemäßem Verhalten auf: Durch häufiges Weinen, durch ständiges Fragen nach dem Kind, das der Vergewaltigten gewaltsam entzogen worden war.

Zu den "therapeutischen Maßnahmen" der Ordnungs-Anstalt gehörte zum Beispiel die so genannte "Packung": Die Widerspenstige wurde nackt mit feuchten Tüchern ans Bett gefesselt. Im September 1933 wurde sie nach Düren in die "Geschlossene" verlegt, im März 1935 auf der Grundlage des nun geltenden Nazirechts zwangssterilisiert. In der Anstalt Johannisthal, in die sie mittlerweile verschubt worden war, diagnostizierte ein Dr. Lewenthal sie als "asozial". Der "Arzt" machte als schweres Krankheitssymptom aus, daß Helga S. kaum zu einer geregelten Beschäftigung zu "gebrauchen" sei. Ein Todesurteil als "Diagnose", eine "Diagnose" als Todesurteil. Helga S'. letzte Station war die berüchtigte Mordanstalt Hadamar. Dort wurde sie 1942 umgebracht, vergast im Alter von 31 Jahren. Ihre Leiche wurde verbrannt, ihre Asche auf dem Westfriedhof verbuddelt. Sie hatte zuviel geweint, sich zuviel beschwert, statt sich klaglos der völkisch gesunden Gewaltordnung zu fügen.

Vor allem Leute sich wehrten oder unbequem wurden, waren häufig betroffen, betont Gabi Schmitt. Auf dem Westfriedhof werden "Euthanasie"-Opfer wie Helga S. aber wieder unkenntlich gemacht - als eines der "einhundertsiebzehn wehrlose(n) deutschen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" - so die verschleiernde Inschrift eines in den sechziger Jahren von der Stadt Köln aufgestellten Gedenksteins. "Verschleiernd" finden die beiden Kölner Forscherinnen den Gedenktext, weil er in seiner wohlgesetzten Allgemein-Unverbindlichkeit nichts über den konkreten Hintergrund der Verscharrten aussagt, nach den Menschen auch ihre Geschichte verschüttet. Anstelle der historischen Wahrheit suggeriert die Betonung, daß es sich um "deutsche" Opfer handelt, für Uninformierte zudem einen falschen, latent national entlastenden Kontext.

Ein Zeichen für den laxen Umgang mit der Vergangenheit ist eben auch die Art, wie die Erinnerung an die Opfer verschüttet wird. Von den 130, die hier den Dokumenten zufolge liegen, haben nur 116 einen Stein gekriegt, sagt Heike Zbick. Eigentlich aber, so vermuten die Forscherinnen, liegen etwa 2000 Euthanasie-Opfer auf dem Westfriedhof. Überwiegend aus armen Verhältnissen kamen sie, wurden von der sozialhygienischen Herrschafts- und Klassenmedizin als "asozial", "arbeitsuntauglich" oder "schwachsinnig" abgestempelt und dem Tode ausgeliefert. Das jüngste bekannte Opfer war 14, das älteste 69.

Quelle:

[1] Neue Rheinische Zeitung, http://www.nrhz.de [Stand 08.02.2017]

Die Broschüre "...zu keiner Arbeit zu brauchen. Verlegt in eine andere Anstalt. "Euthanasie" in Köln am Beispiel der Ehrengräber des Kölner Westfriedhofs" von Gabi Schmitt und Heike Zbick, Köln 2005, ISBN: 3-932248-10-4, ist über den "Jugendclub Courage Köln e. V." zu beziehen.